Lebendiger Ausdruck des Priestertums aller Glaubenden

Heute stelle ich Ihnen einmal einen Dienst unserer Evangelischen Kirchengemeinde vor:  Vielleicht fragen Sie sich: Besuche machen, kann doch jeder, das macht man doch auch privat? Das stimmt nur teilweise. Besuch machen will auch gelernt und bedacht werden. Besuche im Namen der Kirche haben nämlich ihre eigenen Regeln.

Von unserer Gemeindesekretärin, Frau Nicolaus, werden vierteljährliche Treffen vorbereitet. Der Besuchsdienstkreis besteht derzeit aus Pfarrerin Dreier sowie fünf Frauen und zwei Männern. Von Pfarrerin Dreier abgesehen, besuchen wir in der Regel ältere Gemeindeglieder an ihren Geburtstagen. Bei den Treffen gehen wir die verschiedenen Phasen eines Besuchs durch  – Vorbereitung – Verabschiedung – Nachbereitung. Besprochen werden auch die verschiedenen persönlichen Situationen, die bei dem Besuch angetroffen werden können. Beispiele sind: Kann der zu Besuchende sehen, hören, inwieweit ist er behindert, ist er krank, im Bett oder Altersheim? Was können wir ihm mitbringen, erwartet er ein Gebet, womit können wir eine Freude machen?   Der Besuch durch uns Ehrenamtliche ist kein Besuch zweiter Klasse, sondern wie Luther es sagte, ein lebendiger Ausdruck des Priestertums aller Glaubenden.  Wir haben eine anspruchsvolle Aufgabe freiwillig übernommen.Bild Besuchsdienst

Wie eine Begegnung verläuft, hängt zum großen Teil nicht vom Besuchenden ab, sondern von der Situation und der Person des Besuchten. Die Besuche geschehen im Namen der Kirchengemeinde mit Gruß und Segenswünschen von Pfarrerin Dreier, in Form einer Karte mit der jeweiligen Jahreslosung. Man kommt nicht als Privatperson, sondern als Repräsentant der Kirchengemeinde. Die Besuche gehören zur Lebensäußerung christlicher Gemeinschaft, das heißt, der Grund für die Besuche ist unser Glaube. Das Ziel kann gemeinschaftsöffnend, seelsorgerisch, diakonisch oder missionarisch sein. Viele erwarten von der Kirche, dass sie besucht werden. Sehr spannend ist, wenn man die besuchte Person nicht kennt und man nicht erwartet wird. Wie wird man auf den Besuch reagieren? Die besuchte Person fragt sich vielleicht: Was will er/sie von mir? Trotz Unsicherheit unsererseits ist es unsere Aufgabe, die Situation zu klären und Spannungen abzubauen. Wir stellen uns in Ruhe vor und erläutern die Gründe und Ziele des Besuchs. Bei solchen Kontaktbesuchen sind die Besuchten eventuell auf den Besuch nicht vorbereitet und mit jemandem von der Kirche zu reden, ist für viele ungewohnt. Es liegt dann an uns, einen Gesprächsbeginn zu ermöglichen. Beim Abschied ist zu überlegen, welche Worte und Wünsche für den weiteren Lebensweg für einen Vertreter der Kirche angemessen und gleichzeitig für die Besuchten passend sind. Dies gilt besonders, wenn man schwierige Lebenssituationen antrifft, auch bei Ablehnung des Besuchs oder wann man uns festhält, obwohl man gehen will.  Nach dem Besuch ist es so, man hat was Neues, Schweres oder Schönes erfahren und erlebt. Das Erlebte muss verarbeitet werden, damit der Besuch abgeschlossen ist. Da würde helfen, davon zu erzählen. Doch das geht nicht: Als Besuchsdienstmitarbeiter haben wir Schweigepflicht. Bei den Treffen haben wir die Möglichkeit zu reden. Hier können wir angemessen über unsere Erfahrungen sprechen. Der Austausch in der Gruppe kann sehr bereichernd und hilfreich sein.

Wessen Geistes Kind sind die Menschen, die andere Menschen besuchen? Eben Kinder des lebendigen Geistes Gottes. Besuchsdienst ist nichts für Übermenschen, die jede Situation zum Guten wenden können. Er ist eher etwas für feinfühlige Realisten, für Leute, die nahe dran sind am Leben mit all seinen Hoch- und Tiefpunkten. Für Menschen, die wissen, dass sich vieles nicht ohne weiteres verändern, oft noch nicht einmal sofort erkennen lässt.  Wer im Besuchsdienst unterwegs ist, macht mit jedem Besuch neue Erfahrungen, unabhängig davon, ob es beglückende oder bedrückende Momente sind. Es ist eine ständige Aufgabe, mit dem Erlebten umzugehen. Jeder, der im Besuchsdienst arbeitet, ist einzigartig und bringt seine Erfahrungen, seine Persönlichkeit und damit auch Eigenheiten ein. Jeder Besuch ist Öffentlichkeitsarbeit, auch für die Sache Gottes (Jesus Christus spricht: „und ihr habt mich besucht, was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan, Mt. 25, 40). Jede Begegnung ist eine Begegnung mit sich selbst. So kann der Dienst über die Besuche hinaus in unserer Gesellschaft wirken. Pfarrerin Dreier Ziel ist es unter anderem, dass kein alter Mensch, der dies nicht will, ohne Kontakt nach außen sein soll. Der Mensch braucht zum Leben Beziehungen, ungewollte Isolation widerspricht dem Wesen des Menschen, ist unmenschlich. Alle Menschen sind Ebenbilder Gottes, alte Menschen ebenso wie junge. Allen ist die gleiche Würde eigen und gebührt die gleiche Achtung.

Vielleicht müssen wir beginnen, unsere Besuche anders als bisher zu definieren und angehen, die Augen mehr auf die richten, die in ganz besonderer Art und Weise unsere Hilfe brauchen und denen beim Besuch die Botschaft mitbringen: Dass Gott die Niedrigen erhebt und die Gestrauchelten nicht fallen lässt. Der Besuchsdienst  würde dadurch noch mehr als bisher den Glauben an Gott in die Herzen der Menschen hineintragen. Den Auftrag dazu bekamen wir schon vor rund 2.000 Jahren (Mt. 28,19) direkt von unserem Herrn, Jesus Christus.

Robert Kölsch,  Besuchsdienstmitarbeiter