Jesaja 25, 8-9
„Der Herr wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott, der Herr, wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen. Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.“
Evangelium: Markus 16, 1-8
Liebe Gemeinde,
es ist Frühling, unter der Erde regt es sich. Das Leben grünt uns wieder. Da mag es uns nahe- kommen, was der Prophet sagt: „Der Herr wird den Tod verschlingen auf ewig.“ Ist Ostern nicht ein wunderbares Fest des Siegs des Lebens?
Allerdings: wird es uns gelingen, diese Hoffnung mitzunehmen in die kommende Zeit? Denn in unserem Alltag ist uns das so selbstverständlich ja nicht, dass das Leben siegt und der Tod nicht das letzte Wort hat.
Wir erfahren es doch immer wieder, dass unser Leben verletzlich ist und vergänglich. Erfahren es, manchmal lächelnd über die ersten grauen Haare des Partners, manchmal erschrocken staunend, wie schnell die Kinder heranwachsen, aber auch immer wieder schrecklich einschneidend an den offenen Gräbern unseres Lebens. Ein Jahr Corona mit seinen vielen Einschränkungen, persönlichem Leid, dem Tod von Menschen, die wir gekannt, die wir geliebt haben.
Also, die Botschaft des Osterfestes, vom Tod, der vernichtet ist, ist das nicht doch nur ein schöner Traum, eine Illusion, mit der wir uns wegträumen aus der harten Realität? Das Osterfest – eine Pause von unserer Wirklichkeit?
Ich denke an die Frauen am Ostermorgen, von denen uns der Evangelist Markus berichtet.
Die Geschichte beginnt mitten in Schmerz und Trauer. Noch ist es Nacht. Die drei Frauen sind unterwegs, schweigend, stumm. Was wäre auch noch zu sagen? Zu reden von den Schreckensbildern, die wieder und wieder vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen: die Soldaten, die hassverzerrten Gesichter, das Blut, das qualvolle Leiden…. .
Und doch: irgendwann werden auch diese Bilder blasser werden, irgendwann werden sie wieder essen und schlafen. Aber das wäre das Schlimmste: Dass der schreiende Schmerz sich verwandelt in dumpfe Traurigkeit, in eine stumme Leere.
Wie hatte Jesaja geweissagt: Gott wird den Tod verschlingen und alle Tränen abwischen? Nur ein schöner Traum. Eine der Frauen denkt: Hätten sie es nicht immer schon wissen müssen? Dass nichts von Dauer ist, schon gar nicht die Tage im Licht.
Es war alles nur Täuschung gewesen. Das Gefühl, am Ziel zu sein; das Gefühl, den Sinn entdeckt zu haben. Oh ja, sie hatten gemeint, jetzt hätten sie es begriffen: dass sie und jeder zur Freude bestimmt seien – ins Leben gerufen, zur Freude. Bei IHM war’s gewesen, als hätte der Tod keine Macht mehr, als seien alle Tränen abgewischt.
Was für eine Illusion! Hätten sie es nicht längst begreifen müssen? Entdecken in den harten Gesichtern, wenn Jesus von der Liebe sprach? Spüren hinter den großspurigen Worten seiner Freunde, wenn sie von Treue und Mut redeten? Dass das alles nur ein Traum war, nur ein Luftschloss?! Illusion, dass es ein unantastbares Glück gab?! Aber sie hatten sich bei ihm so sicher gefühlt.
Und nun sind sie auf dem Weg zu seinem Grab. Sie wollen um Jesus trauern. Ihn noch einmal im Arm halten. Noch einmal bessere Zeiten vorbeiziehen lassen. Auch wenn das nicht mehr trug. Gedanken an vergangenes Lachen. Auch wenn das vorbei war. Sich an die Hoffnung erinnern. Auch wenn wir sie begraben mussten. Der Glaube an einen gütigen Gott – einbalsamiert in einem Winkel unserer Seelen. Zu erwarten ist von ihm nichts mehr.
„Schön sind sie ja doch, die alten Osterlieder“, sagte neulich eine Frau zu mir, „auch wenn man den Glauben ans Gute längst verloren hat.“
„Wer rollt uns den Stein vom Grab?“, fragen die Frauen. Wer hilft mir, dass ich wenigstens die kümmerlichen Reste meiner Hoffnung bloßlegen kann? Die Wege zu den alten, begrabenen Träumen – wie oft sind sie versperrt!
Und so kommen die Frauen vor die Tore der Stadt ans Felsengrab – und sind fassungslos! Fort der Stein und leer das Grab!? In der dunklen Steinkammer aber ist dieser Fremde: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht den Gekreuzigten? Der ist nicht hier. Er ist auferstanden.“
Ostern: Das ist die Erfahrung: Wo wir ihn einbalsamieren wollten, ist er längst fort. Wo wir unsere Hoffnung endgültig begraben wollten, ist das Grab aufgerissen und leer. Und da ist diese Stimme, die uns sagt: Such‘ doch den Lebendigen nicht bei den Toten!
Bei Markus heißt es: Die drei entsetzten sich. Nicht Freude, sondern Entsetzen. Die Angst davor, dem Leben zu trauen. Die Angst, noch einmal Mut zu fassen, noch einmal zu hoffen und wieder so entsetzlich verletzlich zu werden.
Die Botschaft von Ostern heißt: Wage zu hoffen. Nicht nur, dass immer wieder Frühling wird. Nein, dass Gott den Tod vernichtet. Dass die ohnmächtige Liebe stärker ist als gewalttätiger Hass.
Ostern ist nicht die Illusion, die sich angesichts des Frühlings ein bisschen hinwegtäuscht über die Wirklichkeit des Todes. Kein bequemes: „Wir wollen mal hoffen, dass es so schlimm nicht kommt.“ Der Satz des Propheten Jesaja: „Gott wird den Tod verschlingen und abwischen alle Tränen“, hat Konsequenzen, die erschrecken.
Erst nach und nach haben die Frauen das wohl begriffen: Der dort am Kreuz, der dort war Gott! Als sie gefragt hatten: „Warum schweigt Gott zu all dem?“, da hatte er über ihren Köpfen gehangen. So unbegreiflich nah! Hier am Kreuz hatte er sich so endgültig und ein für allemal auf die Seite der Verzweifelten, auf die Seite der Weinenden gestellt. Und das leere Grab kündet davon, dass alle Gräber leer sein werden. Dies war ja nur der Anfang. Für niemanden mehr wird der Tod das letzte sein, niemand muss mehr seine Hoffnung endgültig begraben.
Erst nach und nach drang wohl diese frohe Botschaft in das Herz der Frauen. Auch dieser letzte Satz: Er will vor euch hergehen nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen. Also:
Wollt ihr ihm wieder begegnen, dem, der alle Tränen abwischen wird? Wollt ihr diesem Gott nachgehen? Dann macht euch auf den Weg nach Galiläa.
In diesen armen Landstrich. Wo ein paar Fischer wohnen und Tagelöhner. Dorthin geht, wo euer Alltag ist, wo es manchmal arm zugeht. Dorthin auch, wo die politisch Ohnmächtigen wohnen. Wo die Menschen manchmal nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen. Dort, im Grau des Alltags, in der Mühe, dort will er euch begegnen. Bei denen, die weinen, mutlos und einsam sind. Da ist jetzt euer Platz. Die sollen es am eigenen Leib erfahren: dass Gott die Tränen abwischt. Und ganz auf die Seite der Traurigen und
Benachteiligten tritt.
Kein einfacher Weg. Manche Mühe und wenig Genuss, durchwachte Nächte und Dienen. Vielleicht Kälte manchmal und das Gefühl von Obdachlosigkeit. Wie oft haben wir es gescheut. Aber dies doch auch: die Freude. Denn ER ist dort.
Also: Begraben wir unsere Hoffnung nicht. Auch wenn uns das angreifbar macht und verletzlich. Meinen wir nicht, Gott sei tot und wir könnten ihn einbalsamieren. Ihn haben wir nie sicher. Er bricht aus allen Gräbern.
Was tot ist, ist tot und lebt nicht wieder? Selbst das ist nicht mehr sicher. Nur eines ist sicher: Die Liebe, die keinen loslässt. Und so lasst uns heute und hier schon einstimmen in das Loblied, von dem Jesaja sagt: Das werden am Ende die singen, die Gottes Heil sehen. Dieses Loblied, das erst langsam und mühsam, dann fassungslos staunend sich aufschwingt hinein in den großen Klang der ganzen Schöpfung. Christus lebt! Es hat schon begonnen. Gott verschlingt den Tod. Schon sind Tränen getrocknet. Schon können wir singen:
Das ist der Herr, auf den wir hofften. Lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.
Amen.
Gebet:
So geht es uns jetzt, ach Gott.
Wie den Frauen am Grab.
Wir zittern und zagen.
Entsetzen ist da.
Das Virus macht Angst.
Die Einsamkeit auch.
Wer wird uns den Stein von unserem Herzen rollen?
Diesen großen schweren Stein.
Wer wird unsere Hoffnung beleben?
Ach Gott, sende uns deinen Engel. Jetzt.
Der uns erzählt von der Auferstehung
und vom Leben.
Der uns sagt:
Geht weg vom Grab euer Hoffnung.
Geht ins Leben.
Der unser Herz hüpfen lässt vor Freude.
Denn: Du hast den Tod besiegt.
Jesus lebt. Mit ihm auch wir.
Bleibe bei uns, Gott, jetzt und immer. Amen. (Gebet von Doris Joachim)
Ein frohes und gesegnetes Osterfest wünscht Ihnen
Ihre Jasmin Gabel, Pfarrerin